Tag 2
Auferstanden aus dem Mumienschlaf & Das Mückenmassaker
Von St. Goar nach Bingen
Mitten in der Nacht werde ich wach, weil ich es unmittelbar neben mir ein lautes Würgen höre. Was ist los, was ist passiert und wer würgt da? Das kann doch eigentlich nur … das darf doch nicht wahr sein … es ist … die bessere Hälfte! Oder sollte ich in diesem Fall sagen: der schlecht gewordenen Hälfte?! Da wir direkt neben dem Klohäuschen campieren höre ich jedes Geräusch und erkenne die Würggeräusche sofort. Mein Herz rast und mir stockt der Atem. Wieso kotzt der sich jetzt die Seele aus dem Leib? Was ist denn los? Irgendwann kommt eine kreidebleiche, nun wirklich nicht mehr so besser wirkende Hälfte ins Zelt zurück. Wortkarg erklärt er mir, dass ihm übel ist. Ja, darauf wäre ich jetzt auch noch gekommen :-) Er ist aber nicht zu Scherzen aufgelegt und während ich anfange mir große Sorgen zu machen, dimmt er bereits wieder, leicht wimmernd, in den Schlaf. Ich bleibe zurück mit 1. 000 Fragen im Kopf. Wie soll es weitergehen? Hat er etwas Falsches gegessen, oder womöglich noch einen Virus? Oh mein Gott, ich weiß es nicht! Erstmal kann ich nichts anderes tun, als zu versuchen, auch irgendwie wieder in den Schlaf zu finden - und zu beten. Ich muss einfach darauf hoffen, dass mein Gefährte wie schon so oft in seinen sogenannten “Mumienschlaf” verfällt und den ganzen Mist “rausschläft”. Ja, und deswegen schalte ich unseren Wecker aus, der eigentlich um 4.00 Uhr früh gebimmelt hätte. Scheiß auf den frühen Vogel, der Gefährte muss nun erstmal wieder gesund werden. Vorher können wir sowieso keinen einzigen Kilometer weiter radeln.
Irgendwann schlafe ich zum Glück ein und werde erst wieder von der Sonne wach. Sie blendet sehr stark und ich blinzel ein wenig und sehe dabei das breit grinsende Gesicht von der besseren Hälfte. Träume ich gerade noch, oder ist das die Wirklichkeit? Er sagt etwas zu mir und wuschelt mir durchs Haar. Ich tätschel ihm das Bein und bin nun sicher, dass ich nicht träume. Er hat sich über Nacht mal wieder geheilt. Ich bin baff! Damit habe ich diesmal nicht so schnell gerechnet. Schließlich musste er sich gestern Nacht laut fluchend sogar mehrfach aus dem Zelt heraus übergeben, weil die Toilette einfach zu weit weg war. Aber er erfreut sich nun wieder bester Gesundheit, während ich von dieser unruhigen Nacht schwer wieder in Gang komme. Da hilft mir der frisch gebrühte Kaffee den mir mein Gefährte reicht. Mensch, der ist ja wirklich wieder topfit! Ein Blick auf die Uhr zeigt mir wie fertig ich gestern Nacht war: es ist 10. 00 Uhr und ich habe 10 Stunden durchgeschlafen.
Nun aber schnell in die Puschen kommen und losfahren.
Um 12.30 Uhr ist es dann endlich soweit: Das Zelt ist gepackt, die Zähne sind geputzt, der Magen beinhaltet ein kleines Frühstück und unsere Räder kommen in Bewegung. Direkt am Rhein, mit riesigen Dampfern und toller Musik aus unseren Boxen durchfährt mich ein wahnsinniges Glücksgefühl. Wir sind also wirklich wieder auf Tour! Der Wahnsinn! Die Tour ist wirklich atemberaubend. Der Rhein glitzert türkisblau, die Schiffe tuckern gemütlich vor sich hin und die grünen Wälder leuchten saftig und dicht bewachsen. Eigentlich könnte ich mich in der Kulisse auch im Urwald am Amazonas befinden. Das wäre auch kein anderes Bild. In einem traumhaften Dörfchen finden wir nach einigen Kilometern einen riesigen REWE. Ich kaufe eine frisch geschnittene Ananas und Kokosnusswasser. Als wäre ich nach wie vor im Amazonas. Die bessere Hälfte besorgt frischen Kaffee und schon ist da wieder diese Wertschätzung und dieser unglaubliche Genuss von diesen Kleinigkeiten.
Wir treffen noch 2 Jungs die auch eine große Fahrradtour machen. Sie sind 16 und wollen nach Amsterdam. Ich bin begeistert was diese Jungs in ihrem Alter machen. Davon war ich damals weit entfernt. Aber irgendwann hat auch jede noch so schöne Pause ein Ende und obwohl ich hier noch Ewigkeiten mein Vagabunden-Leben feiern könnte, muss ich diesem überhaupt ja auch mal gerecht werden. Also, geht es weiter und weiter und es wird heißer und heißer. Und ich düse und düse, weil ich ankommen möchte. Wo genau, weiß ich gar nicht … aber in jedem Fall raus aus diesem Wüsten-Inferno!
Ich drehe mich suchend um, nach meinem Gefährten. Das einzige was ich jedoch sehe, ist eine riesengroße Staubwolke. Meine Staubwolke. Sehr weit dahinter taucht eine kleine Gestalt am Horizont auf. Es ist die wirklich weit entfernte bessere Hälfte. Ich hebe meinen Daumen in die Höhe, um zu checken, ob alles in Ordnung ist. Er tut das gleiche und so rase ich weiter. Später sagt er mir, dass er nur seinen Daumen gehoben hat, um zu sehen, wie weit ich entfernt bin. Er sagt, dass ich durch die Entfernung so klein geschrumpft war, wie sein Daumennagel. Deswegen hatte er den Daumen so lange oben. Zum Glück finde ich in meinem Raserei-Wahn trotzdem einen Netto, der uns mit kalten Getränken vor der absoluten Dehydration rettet.
Die bessere Hälfte sagt, dass er nun zu drastischen Maßnahmen greifen muss: Er muss seine Erfindung aktivieren. Ich gucke ihn mit großen Augen an, da ich von nichts weiß. Er holt eine kleine alte Plastikflasche hervor. Ich bin mir unsicher, ob dieses Ding uns irgendwie helfen kann? Die Flasche hat er zu Hause mit einem löchrigem Deckel präpariert. Jetzt wird dort ein wenig von unserem Wasser hineingefüllt und durch den löchrigen Deckel geschüttet. Eine "Dusche to go" quasi :-) Wir begießen unsere Füße, unsere Arme und unseren Nacken plus Haare und es ist der Hammer! Meine Güte, was der Gefährte wieder aus dem Ärmel schüttelt, ist immer wieder erstaunlich. Seine Daniel Düsentrieb Erfindung rettet uns an diesem Tag, an dem 31 Grad im Schatten herrschen, den A... . Der Campingplatz ist nun "nur noch" 3 km entfernt. "Nur noch" deswegen, weil diese letzten Kilometer an einem heißen Radfahrtag, kurz vorm Ziel, einem immer nochmal mindestens wie ein halber Marathon vorkommen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir dann endlich da. Ich dusche zum ersten Mal eiskalt, weil ich zu geizig bin 1 € für warmes Wasser zu bezahlen :-) Und mein Geiz wird absolut belohnt, da es die absolute Erfrischung ist und ich mir das sonst gar nicht getraut hätte.
Die bessere Hälfte fährt noch einmal zum Supermarkt, um Wasser und Dosenfutter zu kaufen, weil morgen Sonntag ist. Währenddessen eröffne ich mein mobiles Laptop-Studio und bin ich friedlich am Tippen. Es muss ein lustiges Bild sein, wie ich auf meinen Beinen meine Reise-Tastatur aufklappe und konzentriert auf das Handy starre, um meinen Text dort einzutippen. Auf jeden Fall ist es ein starker Kontrast zu unserem spartanischen Camping-Life. Abends essen wir in trauter Zweisamkeit genüsslich unser Dosenfutter zum Abendbrot, als das absolute Mückenmassaker losgeht. Ungelogen
1. 000 Killermücken fliegen auf uns los. Wir trauen unseren Augen nicht. Das ist die absolute Invasion!!! Sozusagen der Angriff der Killermücken (gab es nicht mal einen furchtbar schlechten Splatterfilm, der "Angriff der Killertomaten" hieß?). Völlig gefrustet können wir uns nur noch ins Zelt verziehen und müssen hier noch ca. 30 Mücken abklatschen. Jetzt ist es wirklich ein richtig blutiges Mückenmassaker (willkommen im Splatterfilm!) und trotzdem kassieren wir ca. 40 Stiche.
Was war denn das?