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Tag 3
Der heißeste Tag unseres Lebens!

Von Bingen nach Oppenheim (ca. 55 km)

Der Wecker klingelt um 5. 00 Uhr morgens, jedoch wird er schnell auf 6. 30 Uhr gestellt. Ich soll das angeblich gesagt haben, kann mich aber an nichts erinnern. Wie jeden Morgen müssen zunächst mal wieder alle Habseligkeiten eingepackt werden. Das dauert vor allen Dingen bei mir immer eine Ewigkeit. Zähne putzen, anziehen, Sonnencreme drauf … Ach je, es dauert alles soo lange! Während ich tüdel packt die bessere Hälfte immer schon das Zelt zusammen. Er fragt, ob ich dafür eventuell vorher die Güte hätte aus dem Zelt zu kommen. "Ja, ja", töne ich genervt aus dem Zelt. Schnell raffe ich meine letzten Sachen zusammen und schließe den Reißverschluss hinter mir. Ich packe den letzten Kram in meine Fahrradtaschen und kriege einen kurzen Schreck: mein Bauchgürtel mit meiner EC-Karte, meinem Perso und meinem Geld befindet sich nicht an meinem Bauch unter meiner Hose. Oh, NEIN! Dass heißt ich kann alles nochmal rauszerren und auf die Suche gehen. Zunächst bin ich aber noch ganz ruhig und zuverlässig. Das muss ja irgendwo sein! Als ich dann aber alle vermeintlichen Orte durch habe, an denen ich es mir noch ansatzweise hätte vorstellen können, werde ich langsam aber sicher doch panisch. Wo sind meine Kröten? Wo ist mein Cash? Hat mich jemand bestohlen? Habe ich es irgendwo liegen lassen? Die Sonne kommt zum Schauspiel dazu. Die Zeltnachbarn auch und das macht es natürlich nicht besser. Vor lauter Panik und Stress, laufen mir jetzt schon die Schweißperlen runter. Und ich dachte das ich/wir heute endlich mal einen wirklichen Frühstart hinlegen könnten. So ein Mist! Die bessere Hälfte versucht, wie immer, logisch an diese Problematik heranzugehen, während ich weiterhin panisch alle meine Sachen aus den Fahrradtaschen ziehe. Er fragt mich, wann ich das Teil denn zuletzt gesehen habe? Ich halte inne und sage: "als ich im Zelt gesessen habe, lag es noch hinter mir." Hoch konzentriert gucken wir uns beide an und sagen fast gleichzeitig: "Es ist im Zelt!"

Die bessere Hälfte rollt nun also das sorgfältig zusammengeklappte Zelt wieder auseinander, während ich bibbere und bete. Nach 3 Minuten hält er das gute Teil in der Hand. Oh mein Gott! Was für ein Krimi! Mit starker zeitlicher Verzögerung rollen wir nun endlich vom Platz. Mein Gefährte holt uns dann noch an der Rezeption die Stempel für unseren Pilgerpass, weil er meint, das macht jetzt zeitlich auch keinen großen Unterschied mehr.

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Ja, und dann sind wir endlich wieder auf dem Weg. Er ist nach wie vor wunderschön und führt durch ein verwildertes Stück am Rhein, mit vielen kleinen Sand- und Badebuchten. Wir hören entspannte Musik von "Mogli" (das muss jetzt sein, nach diesem Chaos heute morgen). Schlussendlich entscheiden wir uns dazu, in einer dieser Buchten unser Frühstück einzunehmen. Ich brauche etwas gegen meinen Unterzucker (ein bisschen "happa happa"), die bessere Hälfte braucht etwas gegen einen drohenden Nervenanfall (ganz viel Kaffee). Und so finden wir die beste Location für unser traumhaftes Nature-Frühstück seit Beginn unserer Reise.

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Gut gestärkt haben wir nach ca. 2 Stunden dann schon 40 km geschafft und sind in der big city Mainz angekommen. Mensch, läuft doch heute! Zur Belohnung gibt es erstmal einen cold brew und eine eisgekühlte Matcha Latte direkt am Bahnhof in einem Café. Dazu noch ein bisschen Dosenfutter und schon denken wir in unserem jugendlichen Wahn, dass wir mindestens noch 30 km dranhängen können. Um 13. 30 Uhr, und damit zur absoluten Mittagshitze, nicht die beste Idee … Die Hitze wird so gnadenlos, dass es sich anfühlt, als würde mir meine Friseurin versehentlich den Föhn ins Gesicht halten, anstatt an meine Haare. Das Atmen fällt so schwer, als würde ich durch meinen Strohhalm von der Matcha Latte Luft holen. Wir hangeln uns von Schattenfleck zu Schattenfleck und merken schnell, dass wir es höchstens noch zum nächstgelegenen Campingplatz schaffen. So Gott will. Er ist noch ganze 18 km entfernt von uns. Heilige Mutter, gib uns Kraft, das hier lebendig zu überstehen! 

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In einem Dorf kapitulieren wir und selbst die bessere Hälfte ruft verzweifelt: "Das ist zu krass! Wir müssen raus aus dieser Mittagshitze!" Mit letzter Kraft retten wir uns zu einer Tankstelle, bei der wir einen mini Schattenplatz finden. Ich hole 2 eiskalte Dosen alkoholfreies Bier und das größte Eis, was sie haben. Ich habe zwar gar keinen Hunger, aber ich muss mich runterkühlen und ditsche mir das Ding zur Not auf den überhitzten Kopf. In der Tanke herrschen super Temperaturen, denn die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Ich lasse mir gaaannzzzz viel Zeit beim Einkaufen. Ich nehme so viele Atemzüge, wie ich kann und dann geht's wieder ab in die Wüsteneinöde. Denn es ist tatsächlich niemand auf der Straße und ein riesengroßes Thermometer bei einer Apotheke zeigen sage und schreibe 49 Grad an! What! Werden wir das überleben?  Die Getränke kühlen uns so runter, dass wir einen neuen Versuch wagen. Bis zum nächsten Hügel kämpfen wir, dann kapitulieren wir erneut. Sehen allerdings mit letzter Kraft einen schattigen Unterstand retten uns nach ca. 2 km Fahrt dorthin. Der Unterstand hat einen Brunnen, in den wir Hals und Kopf hängen. Die bessere Hälfte hat dann die Idee, in das Becken reinzuklettern und unsere Füße reinzuhängen. Eigentlich hat er eine totale Abneigung gegen jegliche Gewässer, außer dem Atlantik, aber auch er hängt seine Füße in den glitschigen leicht abgeranzten Brunnen. So fertig ist auch er. Mamma Mia, dass habe ich bei ihm noch nie gesehen!!! Nacheinander kommen 2 Radfahrer an unserer Oase vorbei. Sie haben hochrote Köpfe und stöhnen. Völlig verzweifelt folgen sie unserem Beispiel und halten Kopf und Nacken unter den plätschernden Strahl des Brunnens. Von unserem herrlich kühlem Sitzbad lassen sie sich allerdings nicht überzeugen. Aber macht nichts, denn dann wäre es auch fast ein bisschen eng geworden. Jetzt müssen wir nur noch 5 km schaffen. In der heutigen Hitze fühlt sich das wie ein GANZER Marathon an. Mein Handy, das bisher als Navi fungiert hat, schaltet sich mit einem roten Ausrufezeichen aus. Überhitzung steht da. Und schon ist der Bildschirm schwarz. Ja, ich möchte mich auch ausschalten! Ich möchte mich in den Standby-Modus runterfahren und erst wieder zu mir kommen, wenn ich im (kühlen!) Zelt auf meiner Isomatte liege. Leider geht das nicht. Ich muss mit beiden Augen offen durch den Straßenverkehr finden - leider!

Irgendwann haben wir es zum Glück geschafft und dürfen auf einer Wiese bei einem Strandbad unser Zelt aufbauen, da der Campingplatz nebenan nur für Mitglieder ist. Ich springe in den Rhein (eine Dusche gibt es hier nicht), sammle Muscheln und fühle mich wie am Meer. Was haben wir nur für ein Glück, dass wir hier campieren dürfen! Keinen Zentimeter weiter hätte ich es heute noch geschafft!

55 km, sind es trotzdem an diesem heißesten Tag unseres Lebens (vor allen Dingen auf dem Fahrrad) noch geworden. Damit haben wir auf jeden Fall nicht gerechnet! Morgen wird wieder in altbewährter Methode der Wecker um 5. 00 Uhr morgens bimmeln, anders können wir der gnadenlosen Hitze nicht entkommen. Mal gucken, ob ich morgen wieder im Schlaf den Wecker verstelle, oder ob wir es tatsächlich mal schaffen mit dem Sonnenaufgang loszufahren … 

Drückt uns bitte die Daumen!

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