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Tag 23
Mit wehenden Fahnen in den Abgrund (so kurz vor Schluß...)

Am nächsten Morgen wird das Ausmaß unserer nächtlichen, abenteuerlichen Campingplatz Suche deutlich: Die Sanitäranlagen, allen voran die Duschen, sind eine Katastrophe! Ich gehe notgedrungen MIT meinen Birkenstock-Sandalen duschen. Die bessere Hälfte setzt noch einen drauf und geht sogar Mit Socken in diese widerliche Zumutung. Wie bezeichnend, dass der Besen und der Feudel hier von Spinnweben und Kleintierchen übersät ist. Diese Tierchen besuchen einen auch während der Klo- und Duschgänge. Hat hier überhaupt schonmal jemand geputzt? Und ist dieser Campingplatz vielleicht sich selbst überlassen, sodass es einfach niemanden gibt, der sich hier mal um einen gewissen Hygienestandard kümmern könnte. Jeder der mich kennt, weiß das ich nicht gerade zu der pingeligen Sorte Mensch gehöre. Dafür ist mein eigenes Chaos viel zu groß, als dass ich mich über so etwas mokieren könnte. Ich liebe es zu putzen ... ab und zu ... und wenn es nichts Wichtigeres zu tun gibt. Ich gehöre also eher zu der Sorte: "sporadischer Putzmensch".

Umso erschreckender, dass hier meine Grenze erreicht ist. Ich gebe ein dankendes Stoßgebet an den Camping-Gott, dass wir ein solches Desaster bisher noch nicht erleben mussten und will hier gleichzeitig einfach nur noch weg. Wir packen so schnell wie möglich unsere 1.000 Sachen zusammen. Ich glaube so schnell waren wir auch noch nie :-) Und dann kommt uns tatsächlich beim Ausgang der Besitzer entgegen. Es passt alles zusammen. Er ist unglaublich unsympathisch. Sieht aus wie ein vergrämter Gnom und kommandiert zu allem noch seine Frau herum. Sie soll sich das Dusch-Desaster angucken und da so etwas wie sauber machen. Hätte ich auch keine Lust dazu, bei so einer bescheuerten Ansage und so einem bescheuertem Gnom on topp. Der Gipfel ist erreicht als er der besseren Hälfte noch lauthals erklären will wer hier der Chef ist und ob er denn auch der Chef ist. Die bessere Hälfte versucht so schnell wie möglich den Bezahlvorgang abzuwickeln, während ich diesen Horror-Platz schon verlassen muss - ich kann nicht mehr! Ich bin ein sehr entspannter und toleranter Mensch, aber das überschreitet meine Grenze bei Weitem. Fluchend und kopfschüttelnd kommt die bessere Hälfte um die Ecke und ärgert sich über diese "Witzfigur", wie er es nennt. Ich schicke bereits ein zweites Stoßgebet an diesem noch frühen Morgen. Diesmal zum Gleichberechtigungs-Gott." Danke, dass ich einen Mann an meiner Seite habe, der sich nicht vor mir aufbauen muss, mich herumkommandiert und mir 24/7 erklären und beweisen muss, was für ein toller Hecht er doch ist. Er lacht, wenn ich frech bin, wenn ich Recht habe, oder wenn ich ihm widerspreche. Er kann mir die Stirn bieten und hat ein natürliches Ruhen und Bewusstsein in sich, dass er cool ist, sodass er mir nicht einreden und erklären muss, wer er ist. Er und ich wissen es. Wir begegnen uns zum Glück auf Augenhöhe und er ist auch zum Glück kein Schnacker, sondern ein Macher. Manchmal auch kein Macher, sondern ein Entspannter :-) aber immerhin kein Schnacker, dessen Worte sich in Schall und Rauch auflösen. Okay, ich versuche die Kurve zu kratzen und hier nicht in Lobesgesänge über meine bessere Hälfte zu verfallen, sondern weiter zu berichten, wie es nun an diesem Tag weiterging. Okay, kurz die Herzen aus dem Gesicht und Kopf geblasen und weiter geht's. Wir laden 

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Die Heimat zerrt an unseren Füßen und ruft nach uns.

Wir müssen zurück. Es bleibt uns nichts anderes übrig.

Es sind nicht nur unsere Verpflichtungen, die jetzt wieder lauter werden, sondern tatsächlich auch unsere Knochen. Sie jammern und schmerzen und verlangen danach durchzuatmen. Es kommt immer nach einer gewissen Zeit dieser Punkt an dem wir einfach Ruhe brauchen und keine Lust mehr haben uns der Sonne, den Kilometern, Zeltstangen und dem harten Boden auszusetzen. Nach einer gewissen Ruhephase kommt dann aber auch immer wieder die Lust, sich auf den Sattel, der die Welt bedeutet, zu schwingen.

Ja, leider haben wir jetzt keine Zeit mehr auf diesen Moment zu warten und müssen stattdessen eine konkrete Rückfahrt organisieren.

Die Horror-News in einem Artikel im Internet, dass man in Frankreichs Zügen keine Fahrräder transportieren darf, macht uns ganz schön unruhig. Auch Busse, die gleichzeitig die Fahrräder transportieren, fahren hier nicht. Bleibt also nur noch das Flugzeug. Dafür müssten wir allerdings unsere Räder komplett auseinanderbauen und in einen Karton packen. Nichts leichter als das!

Ich bin wie immer, der Überzeugung, dass ich kaum was aus dem Internet glaube, was ich nicht selbst erlebt, oder erfragt habe. Deswegen lautet unsere heutige Devise:"Ab zum Bahnhof!"

Allerdings macht uns der Hotelmitarbeiter an der Rezeption ganz wenig Hoffnung, dass ausgerechnet am heutigen Tage (Sonntag), der Ticketcounter am Bahnhof von Besancon aufhat.

"Alles ist zu! Heute ist Sonntag. Was denkt ihr denn, ihr Verrückten", lauten in etwa seine Worte. 

Mit wackelnden Knien machen wir uns trotzdem todesmutig auf den Weg. Die Hitze glüht auf dem Asphalt. Kein Wunder, denn es ist mal wieder 12 Uhr. Primetime für die Sonne! Aber heute kann man uns keine Trödelei vorwerfen. Wir wollten das Hotel bis zur letzten Sekunde ausnutzen und Check-out ist nun mal zur Primetime, also rollen wir auch erst wieder zur Primetime raus aus diesem weißen Himmel.

 

 

Gut aufgehitzt erreichen wir kurze Zeit später den Bahnhof. Er hat offen! Juhu!

Nur leider kriegen wir die Räder nicht mit dem kleinen Aufzug in den ersten Stock zum Servicezentrum.

Oh, no!

Wir entdecken eine steile Rampe, die eigentlich für Rollstuhlfahrer ist. Da weit und breit keiner ist, nutzen wir diese kurzerhand. Hechelnd und knallrot erreichen wir das Servicezentrum. Geschafft! Juhu!

"Tu parles un petite peux inglés?"

Meine rudimentäre Frage, nach den Englischkenntnissen der Servicemitarbeiterin verneint diese vehement. Nun gibt es kein Halten mehr: In Sturzbächen laufen mir die Schweißperlen von der Stirn.

Okay, Augen zu und durch. Ich erkläre unser Vorhaben so gut es geht "en francaise". Tja, und nach einigen Sekunden Pause, sagt die Mitarbeiterin tatsächlich, dass ich ihr erklären müsste, woher ich so gutes französisch spreche. Wow, jetzt bin ich sprachlos. Und bekomme ab da keinen einzigen geraden französischen Satz mehr heraus. Ich und Komplimente, ey! Sie bringen mich noch immer aus dem Konzept. Hin oder her haben wir nach einigen Minuten eine gute Verbindung. Wir können wirklich an einem Sonntag mit dem Zug und MIT den Rädern an Bord, ein Ticket nach Germany buchen. In 3 Tagen geht unser Zug von Dijon nach Freiburg. Bis dahin haben wir zwar noch ein paar Kilometer, aber ja auch noch ein paar Tage - von daher easy, das schaffen wir schon! Das Ganze kostet uns nur 35 € pro Person und nicht nur das: Wir können unsere Fahrräder sogar umsonst mitnehmen! Wie geil ist das denn?! Wenn ich nicht jetzt schon so im Arsch wäre, würde ich am liebsten zu dem Hotelmitarbeiter zurückfahren - mit wedelnden Zugtickets - und "Ätschibätsch" rufen. ;-)

Ein hoch auf die Optimisten, die Spontanen, die die locker sind und die Improvisationskünstler.

Das Leben belohnt uns und sagt:"Ihr seid auf dem richtigen Weg. Lasst euch nicht von eurer Angst leiten, sondern von eurer Abenteuerlust, dann kommt ihr da an, wo ihr hinwollt! Immer!"
Erneut Daumen hoch, dafür! :-)

Mit neuer Motivation und wehenden Fahnen geht es nun (nicht der Sonne entgegen - wobei doch, der auch) dem Ende entgegen. So lassen sich die letzten Kilometer und die unglaubliche Hitze schon viel besser ertragen. Im Bahnhof von Besancon erleben wir noch ein sehr tolles Klavierkonzert, an einem Klavier, mit der Aufschrift "for everybody - please play me", dass dort in der Halle steht. Mir schmilzt das Herz dahin, von diesen beiden jungen Talenten an den Tasten. So beschwingt kann es weitergehen. Deshalb wundert es uns fast auch nicht, als wir in einem Freibad mit angrenzendem Campingplatz landen und der Wirt dort die Gitarre anstimmt und lauthals vor allen einen Song schmettert. Heute ist der Tag der Musik!

Hier erleben wir eine der lustigsten Geschichten unseres ganzen Trips. Das gut besuchte Freibad hat viele Stühle und Plätze auf einer Terrasse. Da ist es uns aber ein bisschen zu belebt, sodass wir uns mit unseren 4 gekühlten Getränken auf hohe Barhocker setzten, ein bisschen mehr abseits. Wir sehen nur die Barhocker von hinten und sind erstmal so erledigt, dass wir uns nur gaffend und schwerfällig abstützend auf dem Tisch ausruhen und umschauen.

Hier ein Bild davon:

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Dass wir hinter einem Tresen sitzen, haben wir mit keinem Wimpernschlag mitbekommen​, denn wir sahen einfach nur die herrlich ruhig gelegenen Barhocker.

Nach kurzer Zeit erleben wir dieses komische Gespräch: Ein Mann kommt zu uns und erklärt uns verzweifelt auf Französisch, ob wir vielleicht eine Serviette hätten, da er sein kleines Kind gefüttert hat und wohl einiges daneben ging. Alles verstehe ich auch nicht so ganz, weil ich der französischen Sprache nun auch nicht soooo mächtig bin. Ich wundere mich noch kurz, warum er uns anspricht, denke jedoch, dass er vielleicht unsere vollgepackten Fahrräder hinter uns gesehen hat und daher kombiniert: "Die haben bestimmt so etwas. Die haben ja einiges dabei."
Ich sage also: "Oui, bien sur, monsieur."

Und es kommt zu diesem äußerst peinlichen Happening, dass ich in die Fahrradtaschen greife und unser rosafarbenes Klopapier heraushole. Wieso gerade rosa Klopapier, frage ich mich noch und überlege, dass wir das bisher noch nie hatten, aber da ist es schon zu spät: Ich wickle ihm ein großzügiges Stück ab und halte es ihm hin. Sein Gesicht und vor allem seine runter klappende Kinnlade, werde ich niemals vergessen. Wir haben ihn komplett aus dem Konzept gebracht und unsere wohlwollende Tat, stößt zunächst auf großes Unverständnis und Zurückhaltung. Nach der kurzen Schock-Minute hat "Monsieur" sich aber wieder im Griff und sagt so etwas wie:"Ja, damit wird es auch gehen." Schulterzuckend drehe ich mich zur besseren Hälfte und, der das Ganze irgendwie auch nicht richtig versteht. Ja, klar rosafarbenes Klopapier ist natürlich nicht der Hit, aber dann hätte er uns Traveller nicht ansprechen sollen, sondern beim Kiosk gegenüber fragen sollen. Wir rätseln, was das eben war, vergessen aber die Szene dann auch wieder. Viel zu gut sind unsere eisgekühlten Getränke. Kurze Zeit später stehen 3 ältere Damen vor uns und bestellen 1 Coca-Cola und 2 Wasser bei uns. Wir zeigen auf den Kiosk gegenüber und die Damen schwirren "Aha"-sagend ab. Ein paar Minuten später bildet sich dann schon eine Schlange vor "unserem Tresen". Sie wollen alle bei uns bestellen. Eine Frau sagt lachend, dass wir wie die Barbesitzer aussähen. Nun klettere ich schweren Herzens vom gemütlichen Barhocker und gucke mir die Szene mal von vorne an. Ab da kann ich nicht mehr vor lachen, vor allem als ich an den jungen Familienvater mit seinem rosafarbenen Klopapier denken muss. Jetzt verstehen wir endlich was hier los ist. Nach dem Gitarren- und Gesangskonzert des WAHREN Kioskbesitzers, bitte ich seine Tochter darum uns hinter "unserem "Tresen" zu fotografieren.

Dabei entsteht obiges Bild, das uns immer daran erinnern wird, wie wir für 3 Minuten in einem Freibad eine Bar besessen haben, die rosafarbenes Klopapier verteilt.

Legendär, einfach nur - und ohne Worte!

Lachend und erfrischt fahren wir noch ein bisschen weiter, bis uns die Hitze einfach schachmatt legt und wir den erstbesten Campingplatz ansteuern. Es ist der abgefuckteste und dreckigste auf dieser Reise, aber es ist außer uns fast niemand da (nicht mal der Besitzer) und es gibt viel Platz für uns, unsere Fahrräder und zum ersten Mal auch für unsere Hängematte neben dem Zelt. Das war es Wert!

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Die bessere Hälfte hat trotzdem einen Sonnenstich abbekommen. Ich auch, ich gebe es ja zu. Zum Glück gibt es im Gegensatz zu ihm, keine Beweisfotos von diesem Zustand.

Schweineglück gehabt - dieses Mal zumindest.

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Gute Nacht, Leute! Wir verabschieden uns heute lieber mal von euch, bevor es noch schlimmer wird.

Denn es wurde natürlich noch schlimmer ... ;-)

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