Tag 20
"Yoga-Yoda" und die magische Bergschokolade ...
... diese zwei Dinge retten uns heute den Tag!!!
Aber fangen wir ganz von vorne an.
Der Tag beginnt früh um 6.00 Uhr morgens. Ungewollt, aufgrund von Magenknurren, ich gebe es zu, aber was ich da erlebe stimmt mich gleich milde. Diese Ruhe, dieser Frieden - es ist magisch! Der Nebel liegt noch auf den Wiesen und dem nahe gelegenen Berg. Das Vogelgezwitscher ist auf dem Höhepunkt. Sie scheinen um diese Uhrzeit völlig frei und losgelöst zu sein. Ich wusste gar nicht, das es anscheinend am frühen Morgen eine wirkliche Vogel-hoch-Zeit gibt.
Ich reihe mich irgendwann ein, in die vielen bunten Gefieder und singe auf den nebeligen Feldern mit ihnen zusammen. Ich bin alleine auf dem Campingplatz, denn niemand der wenigen Bewohner ist wach und sowieso scheint die ganze Erde noch zu schlafen - nur die Vögel und ich zwitschern hier um die Wette.
Es ist der göttlichste Morgen den ich bisher erlebt habe!
Irgendwann löse ich mich aus diesem morgendlichen Zauber und widme mich ein wenig widerwillig, wieder den weltlichen Dingen: Das Zelt muss abgebaut werden. Aber da liegt leider noch die bessere Hälfte drin. Den kann ich irgendwie nicht einfach einrollen, obwohl mein frühmorgendlicher Eifer kurz davor ist. Okay, es gibt eine Alternative: Ich kann unser Tarp abbauen. Ich baue es tatsächlich das erste Mal komplett alleine ab und bin ein bisschen stolz auf mich. Selbst ist die Frau, yeah! Und weil sich die bessere Hälfte danach immer noch nicht regt, breche ich unseren Ehrenkodex und frühstücke, bevor das Zelt zusammengepackt ist. Eigentlich tun wir das nämlich immer erst nach getaner Arbeit, aber der Hunger meldet sich nun mit Brachialgewalt und irgendwas muss ich ja tun, um die Zeit zu überbrücken. Ich merke, dass langsam um mich herum, alles erwacht, nur eben die bessere Hälfte nicht. Dann muss ich wohl ausnahmsweise mal nachhelfen. Er meckert und wehrt sich, aber ich habe Hummeln und bin nun wirklich schon seit einer ganzen Weile wach. Missmutig baut er dann irgendwann das Zelt mit mir zusammen ab. Er ist noch total verpennt und versteht gar nicht was eigentlich los ist. Er weiß nicht, dass ich vom Zauber der Vögel geweckt wurde. Er weiß auch nichts von meinem magischen, mit Glücksgefühlen angefüllten, göttlichen Morgen. Für ihn ist das alles andere als göttlich - es ist ein absolut grottiger Morgen!
Schließlich hatte er in der Eile nicht mal Zeit seinen Kaffee zu brühen und zu frühstücken. 2 Stunden hält er - und ich - das so durch, dann fängt es an lebensbedrohlich zu werden (und zwar für ihn und für mich!).
"Stop! Kaffee! Jetzt, sofort!", tönt es mit letzter Kraft aus ihm raus. An einer Parkbank baut er mitten in der Natur unseren Campingkocher auf und kriegt allein schon beim Prozess des Brühens, wieder diesen seligen Gesichtsausdruck. Mit jedem Schluck wird er dann zugänglicher, gesprächiger, ja fröhlicher.
Da ist er ja wieder! Vergessen ist das "Monster auf Kaffee-Entzug".
Okay merke: Fahre nie wieder mit der bessern Hälfte los, bevor er nicht wenigstens EINEN Schluck Kaffee getrunken hat.
Ab jetzt ist der Tag ihm wieder wohlgesonnen, denn wir kommen kurz danach an dem ersten Baguette-Automaten unseres Lebens vorbei. 2 Baguettes für einen Euro bekommt der Glückliche - und strahlt ab da nun wirklich wieder über beide Backen. Während er noch am Essen ist, kommt doch tatsächlich "Yoga-Yoda"auf seinem Fahrrad an uns vorbeigeschossen.
"Yoga-Yoda" hat heute Nacht mit uns auf dem gleichen Campingplatz übernachtet und dort seinen Spitznamen von uns bekommen. Er hat ein winziges Zelt und ist, so wie wir, mit seinem Fahrrad unterwegs. Heute Morgen machte er dann im Gras, neben seinem Zelt, in aller Seelenruhe einige Sonnengrüße und weitere Yoga-Übungen. What! Wie schafft er das? Wieso hat er so viel Ruhe und Zeit und Kraft und ... vor allem SO VIEL ENERGIE???!!!
Fasziniert blickten wir auf dieses friedliche Bild, fernab von all den Rasern und Gehetzten - uns teilweise eingeschlossen. Und so bekam er, während er die Übung "Die Krähe" turnte - während er also wirklich über dem Grasboden schwebte - den Namen:"Yoga-Yoda". Das schien uns irgendwie stimmig mit seiner Performance. Als wir uns morgens von diesem Bild endlich lösen konnten und wieder unserem eigenem Zelt und dem Zusammenpacken widmeten, war er kurze Zeit später einfach spurlos verschwunden. Unser neu gefundener Guru war, ähnlich wie das kleine grüne Wesen aus dem Star Wars-Film, spurlos verschwunden, beziehungsweise hatte sich auf magische Weise einfach weggezaubert. Einzig und allein blieb eine zauberhafte grüne Sternenstaubspur von ihm. Eine Stunde vor uns war er auf diesem Wege aufgebrochen. Und jetzt hier, mindestens zwei Stunden später, nach unserem Aufbruch (und damit insgesamt 3 Stunden nach "Yoga-Yodas" Aufbruch) düste er an uns und diesem Baguette Automaten vorbei. Er grüßte uns sogar und die bessere Hälfte und ich riefen beide aus einem Mund, wie im Kino, in dem der Superheld auftaucht: "Da ist 'Yoga-Yoda'!!!"
Gott was müssen wir lachen!!! Wir heulen mal wieder vor lachen, weil es einfach so absurd ist.
Wo sich "Yoga-Yoda" in diesen 3 Stunden rumgetrieben hat, werden wir nie erfahren. Vielleicht war er einfach ein bisschen im Weltall unterwegs ...
Auf jeden Fall geht es jetzt dank dem Cowboy-Kaffee und den 2 Baguettestangen mit neuer Motivation weiter. Bis uns wieder die Hitze zu schaffen macht. Ach Mann, es ist ein einziges Betteln und Beten, um ein bisschen Schatten und Abkühlung für die kochende Birne. Ohne meinen Sonnenhut hätte ich schon längst kapituliert. Der besseren Hälfte fällt aber ein tolles Motivationsspiel ein, was uns einen richtigen Schub gibt. Er hat die Idee, dass wir uns abwechselnd sagen, was das tolle und besondere an dieser Reise ist. So fallen uns Sachen ein, mit denen wir gar nicht gerechnet hätten und schießen, vor lauter Motivation, wahrlich über den EuroVelo 6. Ich bin immer wieder baff, was man mit der Kraft der Gedanken anstellen und bewegen kann. In diesem Fall sind das viele flotte Kilometer.
Im Nachhinein erinnert mich das an eine Situation an unserem letzten Tag, als es so aussah, als wenn ich den Kampf gegen die Sonne verlieren würde. Kurz vor der völligen Kapitulation, drehte ich eine bestimmte Musik voll auf, die ich bei einer meiner ersten längeren Radtouren rauf und runter gehört habe. Ich war damals im Wendland unterwegs - im angenehm kühlen Wendland!
Die Musik entführte mich in diese kühle Gegend und mit Sonnenbrille auf und leicht zugekniffenen Augen, sah die Umgebung an diesem Tag in Frankreich, der niedersächsischen Landschaft auf einmal verdammt ähnlich.
Ja, und Dank dieser emotionalen Sinnestäuschung, schaffte ich die letzte Etappe dann tatsächlich, ohne unter einem Baum zu verenden.
Aber zurück zu unserem Motivationsspiel. Wir können das natürlich nicht ewig betreiben, denn irgendwann gehen uns trotz totaler Verstrahlung, durch unsere neu gewonnene Motivation und auch durch die knallenden Sonne, die Argumente aus ... und unsere Erschöpfung kehrt zurück. Aber wir können ihr nicht nachgeben, denn wir haben ein Problem: Die bessere Hälfte hat kein Handy-Guthaben mehr und wir müssen dringend einen Aldi zum Aufladen finden. Leider ist nicht nur kein Supermarkt und somit auch kein Aldi in der Nähe, sondern es kommen tatsächlich auch noch Berge! OMG! Meine Feinde aus dem letzten Jahr von unserer Tour! Mein wahr gewordener Alptraum. Mein mentaler Mount Everest. Da sind sie wieder. Im Vorfeld war beim EuroVelo 6 und unserer diesjährige Tour, die Rede von einer ebenen Strecke ... und jetzt das! Ich habe also am heutigen Tag nicht nur einen Feind (die gnadenlose, französische Sonne), sondern nun auch noch die Berge. The mountains, les montagnes - the horror! Überhitzt und abgekämpft schleppen wir uns über die Berge. Ich mal wieder schiebend, die bessere Hälfte im kleinsten Gang, 2 km vor mir. Ich mit jeder Sekunde wütender - auf meine fehlenden 14 Gänge, auf die nicht enden wollenden Berge, auf mein Geschnaufe, auf die scheiß schnelle bessere Hälfte, auch auf mich lahmarschiges Moppelchen, auf Frankreich, auf die Hitze, auf die vorbeisausenden Autos, auf meine vielen unnötigen Kilos, und auf den EuroVelo an sich. Ja, in solchen Momenten kriegt wirklich jeder sein Fett ab (ganz passend der Spruch in dieser Situation, oder?!). In solchen Momenten bin ich gnadenlos - gnadenlos ungerecht vor allem :-).
Wobei bei den Abfahrten ist dann jedes Mal wieder alles gut - und vor allem alles vergessen. Da sause ich wie eine Kanonenkugel durch den luftleeren Raum (auch ein passender Spruch, in dieser Situation, ne?!). Da sind die ganzen überflüssigen Kilos endlich mal von Vorteil, denn sie beschleunigen mich ins Unermessliche. Da bin ich unumstritten die Schnellste!
Einer dieser Berge ist besonders schlimm. Er soll uns eigentlich zu einem endlich gefundenen Aldi führen. Aber als wir den Gigant endlich erklommen haben, ist der Supermarkt ein einziges Chaos: Inventur!
Das gibt's doch nicht, dass Ding hat zu. Meine Gedanken und laut ausgesprochenen Flüche erspare ich euch an dieser Stelle. Ich wünsche mir ja, dass ihr Leser mehr werdet und nicht flüchtet. Ein nah gelegener Lidl bietet dann immerhin die alles entscheidende Schokolade, mit der wir den letzten Kampf mit den Bergen und zum alles erlösenden Campingplatz aufnehmen können. Der Name der Schokolade ist Programm:
Am frühen Abend landen wir beim sogenannten"Camping L'ille" und bekommen tatsächlich vom Besitzer persönlich 2 Campingstühle und einen Klapptisch, neben unser spartanisches Zelt gestellt. What! Wir sind baff! Er möchte dafür 5 Sterne in der Bewertung. Tja, ist schön, wenn er das möchte, aber ich habe eigentlich immer auch einen eigenen Willen. Und das ist gut so! Auch gut ist, dass wir nach der heutigen anstrengenden Etappe das erste Mal nicht auf dem Boden sitzen müssen, um unser Essen zuzubereiten und dann zu verspeisen. Das erste Mal Reisetagebuch nicht abgeknickt auf der Isomatte liegend schreiben. Das erste Mal einfach hinsetzen und sich ausruhen können. Krass! Dieser Tisch, diese Stühle werden gefeiert, wie das absolute Luxusgut. Wir überlegen hin und her, wie wir ein solches Equipment das nächste Mal noch auf unsere Räder geschnallt bekommen. Entweder wir fahren mit einem Anhänger, oder wir müssen es irgendwie noch auf unsere Fahrradtaschen quetschen. Ich traue uns Letzteres tatsächlich sogar zu, allerdings bezweifle ich, ob wir dann noch mit ausreichendem Sichtfeld und Bremsfähigkeit unser Fahrrad bedienen können. So gehyped wir durch die Stühle sind, ist dieser Campingplatz das totale Gegenteil von gestern in Mandeure. Hier herrscht Hochbetrieb und wir sind (mal wieder) fast das einzige Zelt. Viele haben hier sogar richtig feste Holzhütten und begaffen uns wie Aliens. Noch dazu ist der Campingplatz ein in die Länge gezogener Grünplatz, mit einem Schotterweg in der Mitte, der zu den Duschen und Sanitäranlagen führt. Man sitzt sich hier also nicht nur ziemlich auf der Pelle, sondern sich auch gegenüber und in der Mitte verläuft der "Camping-Catwalk" zum Klohäuschen. Das ist hier definitiv nicht unsere Show. Wir lieben die Ruhe, die Einsamkeit, das Spartanische und die Verbindung zur Natur. All das hat der Campingplatz leider nicht, deswegen gibt's auch keine 5 Sterne trotz Campingstühlen und Klapptisch. Sorry, Mister! Am besten sind sowieso die Bewertungen, die aus dem Herzen und einer tiefen Überzeugung kommen. Trotzdem legt sich dann abends eine göttliche Stimmung über den vollbesetzten Campingplatz. Die vielen Camper, die schon seit vielen Stunden, und teilweise auch Tagen hier sind, gehen früh schlafen. Wir, die wir vor kurzem angekommen sind, kommen jetzt erst so richtig an und zur Ruhe. Der plätschernde Fluss und das Feld nach hinten raus, besänftigen uns mit der gerade eben noch da gewesenen Camping-Rushhour. Friedlich entschwinden wir zu später Nacht in unser kleines Zeltchen, dass umgeben von den ganzen Wohnwagen, Trailern und sonstigen Behausungen, hier noch kleiner wirkt und finden unseren Frieden. Wer weiß auf welchem Platz wir morgen landen werden, oder ob es vielleicht mal wieder die pure Natur sein wird?! Wir wissen es nicht und ehrlich gesagt lieben wir genau das auf dieser Reise - nicht zu wissen was morgen passiert! Das ist eine unglaubliche Freiheit!